Rechtspopulismus: Aufmerksamkeit als Selbstzweck

Am vergangenen Freitag führte die Ankündigung der Neugründung einer berlinweiten Partei zu zahlreichen Nachrichten-Artikeln. Das mittlerweile fraktionslose Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses René Stadtkewitz lud zur Pressekonferenz, auf der er die Gründung der Partei “Die Freiheit” zu Ende des Jahres verkündigte. Stadtkewitz war zuvor vor allem durch die Einladung des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders nach Berlin aufgefallen, wegen der er letztendlich auch aus der Berliner CDU-Fraktion und -Partei ausgeschlossen wurde. Bei der Konferenz anwesend waren auch “Mitgründer” Marc Doll (Austrittserklärung) und Stefan “Aaron” Koenig, der von Juli 2009 bis Mai 2010 Beisitzer im Bundesvorstand der Piratenpartei war. Wie zu erwarten bietet die Gruppe über ihre Moscheekritik hinaus inhaltlich kaum Angriffsfläche und präsentierte auch am Freitag außer Floskeln nichts handfestes.

Wie sind also die Chancen des Ex-CDU-Hinterbänklers, des Ex-Nicht-Politikers / Ex-Journalisten (Koenig) und des Ex-Karrieristen einzuschätzen? Eigentlich wäre dies eine klar negativ zu beantwortende Fragestellung, gäbe es da nicht ein gewisses Mitglied einer ganz anderen Partei, das in den letzten drei Wochen die durch das Sommerloch gebeutelten Journalisten gesund pflegte. Seit dem Erscheinen der ersten Zitate aus Sarrazins Buch Ende August zeigen uns bekannte Medien wie Bild und Spiegel in vorbildhafter Manier, wie man ein eigentlich irrelavantes, mittelmäßig recherchiertes und mittelmäßig geschriebenes Buch mit vermeintlich kritischer Berichterstattung zum Tagesgespräch machen kann. TV-Runden (Kerner, Beckmann, Will) nahmen sich dies dann auch gleich brav zum Vorbild. (Mehr dazu hier und danke dafür an Robin Meyer-Lucht)

Zusammen mit der Tatsache, dass seit mindestens Juni die Zahl von ca. 20 % Wähler an, die eine Partei rechts der CDU wählen würde, in den Medien jongliert wird, war es natürlich ebenso folgerichtig wie clever, zu einem Zeitpunkt wo der Hype um Sarrazins “Thesen” abebbte oder durch konstruktive Beiträge ersetzt wurde, noch schnell eine Pressekonferenz abzuhalten, auf der verkündet wird, was in den Medien bereits diskutiert wird, nämlich die Gründung einer neuen rechtskonservativen Kraft. Dass die befürchtete/erhoffte Beteiligung bekannter Gesichter wie Sarrazin, Clement oder Merz entfiel, dass es mit Pro Berlin bereits eine rechtspopulistiche Partei gibt, und dass die Ankündigung der Gründung bereits zum zweiten Mal erfolgte (nach der im Mai auf dem Blog Koenigs), hielt die Medien nicht von ihrer förmlichen und langweiligen Berichterstattung über das Event ab.

Nun wurde zwar schon an vielen Stellen über die Zahl der Menschen geschrieben, die bereit wären, eine Partei dieser Art zu wählen, kaum jedoch über die Zahl derer, die bereit wären, diese mit ihrer Arbeit und Aktivität zu unterstützen. Dass diese äußerst gering wäre, ist wahscheinlich. Zu einem Mangel an charismatischen Führungsfiguren, Denkern und Themen gesellt sich ein Überangebot an rechtspopulistischen/-konservativen/-extremen Parteien in Berlin und Deutschland. Das einzige, was dieser Gruppe Leben einhaucht, ist damit ihre Präsenz in den Medien. Um dies zu veranschaulichen, ist es sinnvoll, einen Blick auf Stefan “Aaron” Koenigs kurze, aber erhellende Karriere in der Piratenpartei zu werfen.

Die Piratenpartei offenbarte, angeregt durch die Aufmerksamkeit, die sich im Juni 2009 aus der Thementriangel rund um die Europawahl, die Diskussion um Netzsperren und den Beitritt Jörg Tauss´ generierte, ein enormen Aufmerksamkeitspotential, sodass ihr im Oktober 2009 zurecht der Politik-Award zugesprochen wurde. Zusätzlich handelte es sich jedoch auch um eine Organisation, der es bereits mit unter 1000 Mitgliedern gelungen war, ihre Prozesse rund um Selbstorganisation, Themenerweiterung, medialer Präsenz, Legitimation von Entscheidungen zu optimieren und die von nun an etwa zehnmal so viele Mitglieder haben würde.

Koenig schaffte es am 9. Juli 2009 durch seine geschmeidige, unkritische Präsentation nach nur wenigen Wochen Mitgliedschaft als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt zu werden. Seine Aktivitäten konzentrierten sich von Anfang an auf möglichst aufmerksamkeitsträchtige Aktionen, die dabei wenig arbeitsintensiv waren und sich wenig mit Inhalten beschäftigten. Symptomatisch ist sein “Brief an die Nichtwähler” von September 2009 (PDF). Mit islamkritischen Äußerungen hielt er sich am Anfang noch stark zurück. Er hatte direkt nach seiner Wahl in den Bundesvorstand herbe Kritik für einen ältereren Blogpost mit dem Titel “Ist Geert Wilders rechtsextrem?” geerntet, den er daraufhin umgehend aber ohne inhaltliche Distanzierung löschte. Er versprach auf der Berliner Mailingliste der Piraten, er werde sich “in Zukunft nur noch zu Themen äußern, mit denen ich mich wirklich auskenne”, welches er bis nach der Wahl durchhielt. Danach versuchte er wieder verstärkt, die Piratenpartei mit dem islamkritischen Themen in Verbindung zu bringen. Dabei bemühte er sich, diese über das sehr piratennahe Feld der direkten Demokratie zu legitimieren und so die Ablehnung von Moscheen beim Schweizer Volksentscheid zu rechtfertigen. Nachdem eine neuerliche Flut von Beschwerden jedoch seine völlige Isolation in der Partei zutage trug, beschränkte sich seine Aktivität für die Piraten seit Anfang des Jahres auf die Provokation über seinen Blog und die lediglich formale Inhaberschaft seines Amtes. Kurz vor seiner bevorstehenden Nicht-Wiederwahl im Mai verkündete er seinen Austritt, dessen erhoffte Medienwirksamkeit jedoch völlig ausblieb.

Was Koenig mit der Piratenpartei gänzlich misslieg, hat er wohl nun Stadtkewitz und Doll für deren Neugründung versprochen: Prägnante, medienwirksame Aktionen, die die sensationslüsternen Medien aufgreifen, die die linksalternativen Blätter anprangern können. Der Nachrichtenwert der freitäglichen Pressekonferenz ist bei genauerem Hinschauen zu reduzieren auf “Drei absolute Nobodies verkünden (mal wieder) die Gründung einer Partei ohne Gesichter, ohne Basis und ohne inhaltliche Themen.” Die Präsenz zahlreicher Reporter vor Ort zeigt, dass die Truppe Ahnung vom Ködern hat, aber auch wie sehr sie darauf angewiesen ist, News zu produzieren – gute wie schlechte. Ziel wird es sein, Thilo Sarrazin und darüber auch sich selbst als Opfer des Establishments und sich als Vertreter einer schweigenden Masse und Verfechter der Meinungsfreiheit zu stilisieren, während sie sich dabei über die Skandalisierung ihrer Thesen und Behauptungen echauffieren, die von ihnen jedoch gleichzeitig geradezu herbeigesehnt wird. In Ermangelung einer Parteibasis, mit der zu kommunizieren und vor der sich zu legitimieren unnötig Zeit kosten würde, wird “die Freiheit” eine quasi virtuelle Medienpartei bleiben und unterscheidet sich damit auch grundsätzlich von Organisationen wie Haiders FPÖ in Österreich, die in Kärnten auf eine breite Mitglieder- und Unterstützerzahl blicken konnte. Die Erzeugung von Aufmerksamkeit dient dabei als reiner Selbstzweck und damit als Katalysator und Legitimation für die Medien, der Partei in Zukunft weitere Aufmerksamkeit zu Teil werden zu lassen. Die Medien und andere – vor allem Berliner – Organisationen werden sich gut überlegen müssen, ob sie sich auf dieses Spiel einlassen wollen, bei dem die Gesellschaft aus der momentanen Situation heraus – der Fall Sarrazin zeigt dies allzu deutlich – eigentlich nur an Boden verlieren kann.

Eine kurze Anmerkung: Wer sich ernsthaft mit den integrationspolitischen Positionen von CDU und Piratenpartei auseinandersetzen will, der mag sich am Wahlprogramm der Berliner CDU 2006 (ab Seite 47, PDF) und diesem Vorschlag für das Programm der Berliner Piraten (noch unabgestimmt) orientieren.

Noch eine Anmerkung: Ein Artikel über die Gefahr, die die öffentliche Thematisierung einer populistischen Partei mit sich bringt, mag ein Stirnrunzeln hervorrufen, inklusive der berechtigten Frage, ob dies dann für selbigen Artikel nicht auch gelten müsse. Festzustellen ist aber, dass Twistedexperiment nur ein eher kleiner, medienkritischer Blog mit einer begrenzten Reichweite ist. Wer sich mit der Thematik von rechtspopulistischen Parteien beschäftigen will, mag dies tun und findet hier unter Umständen einen weiteren Denkanstoß. Da es nicht das Ziel ist, Uninteressierte für diese Partei zu interessieren, würde der Autor diesen Text bewusst nicht auf einem größeren Medium publizieren. Daher ist die Creative Commons-Lizenz für diesen Text eingeschränkt: Verbreitung und Vervielfältigung über das Zitierrecht hinaus ist ohne Einwilligung des Autors nicht erwünscht.

Zum Weiterlesen:

Blog.Zeit.de/Stoerungsmelder: Islamgegner unter sich
Spiegelfechter: The Three Stooges


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