Rassismus entschieden entgegen treten, nicht seine Argumentationslinie übernehmen!

Deutschland hat einen neuen Skandal. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärte der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland der Fußballprofi Jérôme Boateng werde zwar als deutscher Nationalspieler geschätzt; dies bedeute aber nicht, dass er nicht als fremd empfunden werde. Vorausgegangen war seiner Aussage eine bisweilen absurd anmutende Diskussion zu Facebook-Kommentaren über Kinderbilder von Nationalspielern auf Schokoriegeln. Im Detail erklärte Gauland: “Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben”

Dem Bekanntwerden der Aussage folgten binnen Minuten parteiübergreifende Distanzierungen und Verurteilungen in den sozialen Netzwerken. Besonders im Vordergrund: Boatengs fußballerische Qualitäten, seine zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, aber auch sein vorbildlicher Lebensstil. DFB-Präsident Reinhard Grindel erklärte, Boateng sei ein “herausragender Spieler und ein wunderbarer Mensch, der sich übrigens auch gesellschaftlich stark engagiert und für viele Jugendliche ein Vorbild ist”.

Bewertung von Boatengs Nachbarschaftsqualität als Thema gesetzt

Auch zur Frage, ob Boateng nun als Nachbar gewünscht sei, gab es schnell Meinungen: „Lieber Boateng als Gauland als Nachbarn.“ twitterte die stellvertretende CDU-Chefin Julia Klöckner. In ähnlichen Variationen verkündeten dies Dutzende weitere NutzerInnen, unter anderem Grünen-Chef Cem Özdemir. Mehr zur Frage, ob Gauland nicht vielleicht doch recht hätte, wusste die „Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie recherchierte gleich selbst vor Ort und befragte Boatengs NachbarInnen im gediegenen Münchner Stadtteil Grünwald. Das Ergebnis soll beruhigend klingen: „Eine blonde Anwohnerin ein paar Hausnummern weiter schätzt die zurückhaltende Lebensweise Boatengs: ‘Die wilden Partys machen hier vor allem die normalen Leute, nicht die Prominenten.’“

Das mag auch alles stimmen. Aber gerade der letzte Satz wirft ja eher mehr Fragen auf: Wie wäre denn der FAZ-Artikel ausgegangen, wenn die Boatengs einen abgehobenen Lebensstil pflegen würden und regelmäßig zulasten der Nachbarn wilde ausschweifende Feste feiern würden? Hätte Gauland dann Recht? Oder gilt nicht viel mehr: Jeder Mensch hat das Recht, im Rahmen des Gesetzes wilde Partys zu feiern und sich auch mal daneben zu benehmen, unabhängig von der Hautfarbe. Boatengs Recht, als Mensch und Nachbar wie jeder andere betrachtet zu werden, resultiert ja schließlich nicht aus seinen fußballerischen Qualitäten, seinem Engagement für Kinder in den brasilianischen Favelas oder seinem zurückhaltenden Lebensstil als bekennender Christ, sondern aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz und ganz allgemein aus dem kategorischen Imperativ, der sagt: Menschen sollen sich halt einfach nicht wie rassistische Arschlöcher verhalten!
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Rassismus verhandelt nicht. Rassismus verschiebt die Maßstäbe.

Das Grundproblem bei Rassismus ist ja gerade, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Pflichten von NachbarInnen leiten sich aus den deutschen Gesetzen ab. Nicht so für Boateng. Da er als fremd empfunden wird, reicht es nicht, dass er den Gesetzen Folge leistet. Mit anderen Worten: Alleine seine Hautfarbe schafft bereits einen Unterton der Rechtfertigungspflicht. Er wird von Gauland, der sich dabei herausnimmt, für viele Menschen zu sprechen, pauschal abgelehnt. Und das ist ja gerade das Wesen des Rassismus: Es wird zuerst eine Fremdheit herbeidefiniert, dann werden andere, höhere Maßstäbe an das Verhalten angelegt, die aber nie erreicht werden können und falls doch noch weiter angehoben werden. Das beste Beispiel dafür ist Frauke Petry selbst. Als ihr kürzlich im Münchner Hofbräukeller die kritische Frage gestellt wurde, wie sie es integrationspolitisch bewerte, dass mit Muhterem Aras eine Muslima Präsidentin des Landtags Baden-Württemberg werde, schraubte sie spontan ihre persönlichen Anforderungen an LandtagspräsidentInnen in geradezu absurde Höhen. Das gipfelte in der Forderung Petrys, die grüne Aras solle doch bitte de facto-AfD-Positionen vertreten, sonst genüge sie ihren Ansprüchen nicht. Und das steht auch nur exemplarisch für die dem Rassismus zugrundeliegende Doppelmoral und die frei anpassbare, je nach Situation verschiebbare Bewertungsskala. Für die Betroffenen bedeutet dies konkret: Rassismus verhandelt nicht. Rassismus verschiebt die Maßstäbe.

Das sieht man auch daran, dass Boateng von Gauland noch nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Nachbarschaftsqualitäten zu beweisen. Als Reaktion auf dieses plumpe Zurschaustellen von Rassismus versuchen zahlreiche Kommentatoren erst Recht, Boateng in einen überhöhten Standard reinzuzwängen. Sie machen ihn zum Supertalent, Vorzeigeengagierten und Musternachbar, nicht weil er es verdient hätte, sondern um der überhöhten Rechtfertigungspflicht proaktiv nachzukommen. Leider wirkt Boateng, der ja in jüngeren Jahren durchaus auch mal rüpelhaft auffiel, durch diese Überhöhung nur noch wie eine Projektion seines Selbst. Dementsprechend kontraproduktiv ist also ein FAZ-Artikel, der nachgerade verzweifelt versucht zu erklären, Boateng genüge nach umfassender Befragung selbst erhöhten Ansprüchen an Nachbarn. Wen soll das denn überzeugen? Menschen, die das gefühlte Fremde in ihrer Umgebung pauschal ablehnen – und bekanntlich tun dies ja gerade die am meisten, die damit am wenigsten konkret konfrontiert sind – ganz sicher nicht.

Gleichzeitig begeben sich die FürsprecherInnen damit leider genau auf die Definitions- und Argumentationsebene von Rassisten wie Gauland. Denn: Warum sollten für Familie Boateng andere Ansprüche genügen, als für andere? Warum sollten sie nicht wilde Partys feiern dürfen oder einen ausschweifenden Lebensstil pflegen? Warum sollten sie sich überhaupt für ihre Anwesenheit rechtfertigen? Warum unternehmen es FAZ-Journalisten und implizit auch Klöckner, Özdemir und andere, Boateng überhaupt einer Bewertung zu unterziehen? Damit spielt man ja gerade den Rassisten in die Hände, die für sich in Anspruch nehmen, das Verhalten von gefühlt anders Aussehenden in Deutschland festlegen und bewerten zu dürfen.

Unsinnig, Fremdheit Faktentests zu unterziehen

Genauso unsinnig ist es, die gefühlte Fremdheit Faktentests zu unterziehen. Der SWR3 weiß: „Das Wort ‘fremd’ ist in diesem Zusammenhang schon mal großer Unsinn. Der Innenverteidiger von Bayern München ist in Berlin geboren und aufgewachsen, sein Vater stammt aus Ghana, seine Mutter aus Deutschland.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel setzt noch einen drauf und sagt der „Bild“, Boateng sei kein “Fremder”, sondern Deutscher und “Gaulands AfD ist auch deutschfeindlich”. Clever! Damit wird aber schwarzen Menschen in Deutschland, die nicht hier geboren wurden und deren Eltern beide aus dem Ausland kommen oder die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, ein Bärendienst erwiesen. Wieso wird überhaupt über die Fremdheitsmaßstäbe diskutiert, als gäbe es da ein ausreichendes Maß, das definiert werden muss, noch dazu anhand der Maßstäbe, die von Rassisten vorgegeben wurden. Wollen wir uns etwa ernsthaft mit der AfD auf einen Fremdheitsbegriff und -maßstab einigen, ab dem Rassismus in Ordnung ist? Wohl kaum!
Gauland
So wichtig es ist, Vorbilder wie Jérôme Boateng zu haben und über sie, ihre Geschichte und Aktivitäten zu informieren, so unnötig ist es, seine menschlichen Qualitäten in der Auseinandersetzung mit Rassisten hervorzukehren und damit ihre Argumentation zu legitimieren. Stattdessen muss das rassistische Argumentationsmuster und die damit einhergehende Doppelmoral entlarvt werden als das, was es ist: Blanker, mit dem Grundgesetz und simpelsten Anforderungen an die Menschlichkeit unvereinbarer Rassismus, dem es entschieden entgegen zu treten gilt. Das gilt völlig unabhängig davon, ob die betroffene Person nun arm oder reich ist, ob sie sportlich ist und zivilgesellschaftlich aktiv und unabhängig davon, ob sie ruhig und zurückgezogen lebt oder ein wilder Partyhengst ist, neben dem das Schlafen schwer fällt. So konsequent muss man dann schon sein.

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