Löst das selbsternannte Nebenparlament endlich auf!

Aktuell laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union auf Bundesebene. Koalitionsverhandlungen sind ja immer so eine Sache. Mal dauern sie zu lange, mal sind sie zu oberflächlich und lassen zu viele Fragen offen. Das richtige Maß ist nicht immer ganz leicht. Zumal auf Bundesebene jeder Hinz und Kraft mitreden will. Dennoch läuft momentan ein bisschen was falsch. Und ich will erklären, was. Fangen wir vorne an.

Am 23. Oktober beschrieb der Stern die Planungen der Annäherung von SPD und Union: Nach 32 Personen 2005 sind nun insgesamt 75 Personen beteiligt. Der Stern schreibt: “Es gibt zunächst drei Einheiten. Da ist die Steuerungsgruppe um die drei Generalsekretäre Hermann Gröhe (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD). Sie kümmert sich um die Organisation und stellt die Abstimmung zwischen der großen Verhandlungsgruppe und den Arbeitsgruppen her. Es gibt zwölf solcher Arbeitsgruppen mit vier Untergruppen zu den wichtigsten Feldern. Sie handeln die Details aus und schaffen damit die Grundlage für den Koalitionsvertrag. Die große Runde mit 27 Mitgliedern der CDU, 18 der CSU und 30 der SPD berät, berichtet und beschließt dann über die Lösungen der Arbeitsgruppen.”
Hä? Alles klar? Also, nochmal in kurz: Die verschiedenen Themen werden in Arbeitsgruppen erörtert. Die Steuerung übernehmen die Generalsekretäre. Die Parteivorsitzenden haben die Oberhoheit. Jetzt klarer? Hoffentlich.

Nun werden in Koalitionsverhandlungen Dinge besprochen und verhandelt, von deren Einigung die Frage abhängt, ob man überhaupt zusammen arbeiten kann und will. Es geht ja um die Frage, ob eine gemeinsame Regierung Sinn macht. Momentan geht es zum Beispiel viel um die Frage, ob man einen gesetzlichen Mindestlohn möchte oder nicht. Wenn man sich über solche Dinge nicht einigt, wird die Regierungsarbeit schwierig, weil die Leitplanken fehlen. Beim Mindestlohn kommt spannenderweise hinzu, dass er sowohl auf die erwarteten Steuereinnahmen, als auch möglicherweise – je nachdem wie viele Staatsunternehmen davon betroffen sind – auf die Ausgabenseite Einfluss nimmt. Das kann man dann einberechnen. Geld kosten tun auch andere Dinge. Zum Beispiel die Breitbandverkabelung im ländlichen Raum. Die ist eine Katastrophe. Nun einigte sich die Arbeitsgruppe Wirtschaft darauf, das zu ändern. Das kostet etwa eine Milliarde Euro.

Nun merken plötzlich die Chefs, dass die ganzen Arbeitsgruppen Dinge produzieren, die Geld kosten. So war das nicht gedacht. Dabei ist das logisch: Immerhin verhandeln dort häufig diejenigen, die später auch in den Ministerien für das Thema verantwortlich sind. Wer im Ministerium sitzt, will ein möglichst großes Budget, um Einfluss ausüben zu können, und möglichst prestigeträchtige Projekte, um sein oder ihr Image zu verbessern (und pustet sie gerne direkt in die Öffentlichkeit, damit die Chance möglichst groß ist, dass dies auch passiert, steht ja schließlich auch irgendwo im Wahlprogramm!). Jetzt stellt also die Steuerungsgruppe fest, dass das System dazu führt, dass alle AGs viel Geld wollen. Deswegen macht sie folgendes: Sie stellt alle Beschlüsse unter Finanzierungsvorbehalt. Alle Vorschläge, die Geld kosten – also fast alle – kommen auf die F-Liste. Diese F-Liste wird ganz am Ende verhandelt. Dafür verantwortlich sind wiederum Nahles, Gröhe und Dobrindt.

Wir halten also nochmal fest: Es gibt 75 Menschen (samt MitarbeiterInnen), die das Schicksal der Bundesrepublik der nächsten vier Jahre verhandeln. Sie treffen sich im Plenum. Dazu gibt es eine Regierung (Steuerungsgruppe) und Ausschüsse (AGs) mit Vorsitzenden (AG-Verhandlungsführer). Alles Verhandelte steht unter Finanzierungsvorbehalt, welchen der Finanzminister (ist wiederum identisch mit der Regierung Nahles/Gröhe/Dobrindt) auflösen muss.

Sagt mal, hackts!? Das, was da stattfindet, gibt es doch schon in Deutschland. Man nennt es Legislative und Exekutive.

Symbolbild: So funktioniert ein Parlament. Man stimmt öffentlich über Gesetze ab!

Symbolbild: So funktioniert ein Parlament. Man stimmt öffentlich über Gesetze ab!

Dass man sich in Koalitionsverhandlungen auf einige grundsätzliche Dinge einigt, ist ja noch nachvollziehbar. Aber das, was da gerade gemacht wird, ist offensichtlich eine Vorwegnahme der nächsten vier Jahre Regierungszeit inkl. Haushaltsverhandlungen, die Monate, nur ohne Gewaltenteilung. Bei aller Kritik am parlamentarischen System – aber dieses Verhalten ist ungefähr so, als hätte es den Bundestag nie gegeben. (Für Fanboys: Es ist so, als wenn man den Film vom Ende her schaut. Und wer das einmal gemacht hat, weiß: Das macht in der Regel keinen Spaß (Ausnahme: Memento)). Also löst doch bitte endlich auf, die Abkürzung zu wählen, innerhalb des parlamentarischen Systems unter den Augen der Opposition, der Öffentlichkeit und der Medien über die eigenen Positionen zu streiten. Löst dieses selbsternannte 75-köpfige Nebenparlament auf und fangt an zu regieren und/oder zu arbeiten und hört auf das echte Parlament daran zu hindern, ein Parlament zu sein!

PS:
Pseudo-Parlamentspräsident im Wartestand Lammert hats auch irgendwie gecheckt. Er kritisiert den Stillstand im Parlament. Keine Petition wird bearbeitet, kein Gesetz verabschiedet. Verfassungsmäßig vorgeschriebene Ausschüsse und Kommissionen werden nicht eingesetzt. Die geschäftsführende Regierung kann nicht kontrolliert werden. Die letzte reguläre Sitzungswoche des Bundestags ist am 28. Juni zu Ende gegangen. Seitdem hatte sich das Parlament nur zu zwei kurzen Sondersitzungen Anfang September und zur Konstituierung des neuen Bundestags Ende Oktober getroffen.
Leider trifft er den Kern des Problems nicht, aber immerhin.

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